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Schon so oft in der Geschichte waren es Ironie und Satire, die als
Ventil dienten, um auf einen schreienden Mißstand aufmerksam zu
machen. Denn während sich gutgemeinte Parolen der Rechtschaffenheit
nur allzuschnell in langweiliger Erbaulichkeit erschöpfen, die
niemanden mehr interessiert, halten Ironie und Satire den Geist wach.
So ist es auch im vorliegenden Fall. Hinter der schrägen Kommune rund
um den AdvoGrafen verbirgt sich keine muntere Fiktion, sondern das
ironische und satirische Hinweisen auf etwas, das es leider wirklich
gibt: die Bereicherung einzelner Juristen auf Kosten der Allgemeinheit
und auf Kosten des Rechtssytems. Und nicht, daß es hier um einen
Einzelfall geht nein, es geht um Praktiken, die seit Jahren
funktionieren und, durch den unsicheren Rechtsraum Internet
beschleunigt, mittlerweile zu einer allgemeingefährlichen Bedrohung
geworden sind.
Der Trick ist ganz einfach. Man beobachtet den Markt, vor allem
lukrative Teilmärkte wie den EDV-Sektor. Dort entstehen viele neue
Technologien, und gemeinsam mit ihnen viele neue Metaphern, mit denen
man diese neuen Technologien bezeichnet. So gibt es eine Technologie
namens Multiple Document Interface, aber weil das viel zu abstrakt
ist, redet man einfach von Fenstern. Wer genau beobachtet, kann schon
heute ahnen, wie die Metaphern von morgen heißen. Die Wörter hinter
diesen Metaphern läßt man sich klammheimlich als Marke eintragen,
redet schon mal mit einer speziellen Sorte Rechtsanwalt, die sich auf
dieses Geschäft spezialisiert hat, und wartet ab.
Die Technologien wachsen, und irgendwann ist besagte Metapher in aller
Munde. Klar, daß dann auch viele Programme und Tools diese Metapher
benutzen, und daß es im Internet viele Links auf solche Programme und
Tools gibt. Das ist die Zeit der Ernte: der auf diese Dinge
spezialisierte Rechtsanwalt beginnt im Namen seines Mandanten, des
stillen Markeninhabers, serienweise abzumahnen. Er setzt sich morgens
vor die Suchmaschine, sucht nach Links auf irgendetwas, in dem das
erfreuliche Wort vorkommt, und findet jede Menge Treffer. Alles
potentielle Abmahnkandidaten, egal ob private Homepage-Besitzer,
Universitäten, Vereine oder Firmen. Denn sie alle machen sich nach der
noch vorherrschenden deutschen Rechtssprechung, der das Medium
Internet noch fremd und unverständlich ist, des geschäftlichen
Mißbrauchs der Marke schuldig.
Flugs sind wieder ein paar neue Namen notiert, die
Serienbrief-Funktion druckt bereits, und kurze Zeit später bringt der
fleißige Anwaltsgehilfe den Packen des Tages zur Post jeder Brief
wird dem Anwalt knapp 2000 deutsche Mark einbringen, abgezogen aus den
Taschen erstaunter und verängstigter Menschen, die noch nie mit dem
Gesetz in Konflikt gekommen sind. Den Rest des Tages kann sich der
Anwalt natürlich schön vergnügen und sonstigen Interessen nachgehen.
In dem Fall, auf den wir hinauswollen, bestehen diese Interessen
darin, Publicity zu ergattern. Und zwar eine ganz besondere Sorte:
nämlich Negativ-Publicity. Dazu postet er wie ein Besessener in Foren,
Mailinglisten und Newsgroups herum, und zwar so, daß er bei dem dort
vorherrschenden Publikum nachhaltig aneckt. Naja, wer so einem
merkwürdigen Geschäft nachgeht, hat eben auch merkwürdige Hobbies.
Zur Zeit postet er auch wieder sehr viel. Denn es ist mal wieder die
Zeit der Ernte. Das erfreuliche Wort heißt diesmal "Explorer" (engl.
für "Erkunder"). Da die Datenbestände immer größer werden, egal ob auf
dem eigenen Rechner, im Internet, oder auf speziellen Datenträgern,
war es ganz normal, daß eine Sorte Software immer mehr Bedeutung
gewann, nämlich jene, die das Zurechtfinden in diesem ganzen
Datendickicht erleichtert. Natürlich brauchte man auch dafür wieder
eine griffige Metapher, und so bürgerte sich die Metapher des
Erkundens ein. Da gibt es den allseits bekannten Internet Explorer und
seinen Stammvater, den Windows Explorer. Aber es gibt auch Picture
Explorer, Multimedia Explorer, Sound Explorer und es gibt einen
FTP-Explorer. Alle führen eine friedliche Koexistenz, denn sie
unterscheiden sich ja alle klar und deutlich durch die vorangestellten
Beiwörter.
Alles unerheblich! Tief in der deutschen Provinz sitzt der Inhaber der
Marke Explorer - eine Firma namens Symikron. Und die hat den Anwalt
Günter Freiherr von Gravenreuth beauftragt, gegen Mißbrauch an den
Rechten dieser Marke vorzugehen.
Nun wäre es eine schwache Ernte, einfach nur Software-Hersteller
abzumahnen, die ihrem Produkt die Gattungsmetapher "Explorer" verpaßt
haben. Das ist schon von daher schwierig, weil die meisten dieser
Produkte internationaler Herkunft sind und durch den Rechtsanspruch
von Symikron gar nicht berührt werden. Aber zum Glück gibt es ja das
Internet mit seinen vielen Links. Jeder Link auf irgendeinen Explorer,
der sich auf einer deutschen Webseite befindet, ist für den
freiherrlichen Anwalt, der vor seiner Suchmaschine sitzt und den
Drucker warmlaufen läßt, fast 2000 deutsche Mark wert.
So ist das also - mit dem Explorer und mit einigen anderen Wörtern.
Der Anwalt mit dem markanten Namen, Günter Freiherr von Gravenreuth,
hat seine Praxis übrigens in München. Leben tut er natürlich
außerhalb, in so einem Schlößchen, ihr wißt schon ... und nun noch
viel Spaß mit den Abenteuern von AdvoGraf, dem tolldreisten Juror
rerum explorae! Und vielleicht bleiben ja ein paar Stirnfalten ...
[STEFAN MÜNZ]
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